Reportage Brauereipferde Unsere grössten Mitarbeiter

Fuhrmänner und ihre Brauereipferde waren einst unverzichtbar. Heute werden sie fast nur noch für repräsentative Auftritte gemietet. Nicht so bei der grössten Schweizer Brauerei Feldschlösschen. Dort spielen Belgische Kaltblüter und ihre Lenker immer noch eine wichtige Rolle.
15. Oktober 2020
#Erleben

Einleitung

Diesen Text dürfen wir mit freundlicher Genehmigung der Tierwelt verwenden.
Autor: Oliver Loga. Quelle: Tierwelt Nr. 41 / 8. Oktober 2020

 

Wer mit dem Zug an der Feldschlösschen-Brauerei in Rheinfelden AG vorbeifährt, sieht anders als von der Autobahn aus nicht nur das imposante Schlossgebäude im Burgenstil. Ebenso unübersehbar sind riesige Pferde auf den Weiden, die zum Gelände des Getränkeherstellers gehören. Je näher man ihnen kommt, desto beeindruckender ist ihr Anblick. Bei den Kolossen handelt es sich um rund 170 Zentimeter gros­se Belgische Kaltblüter, die über eine Tonne auf die Waage bringen können. In unmittelbarer Nähe befindet sich Peter Nussbaumer. Der Fuhrmann und sein Team mit Hubert Schlachter und Hansruedi Blatter sowie einer Aushilfe sind bei Feldschlösschen für sieben Brabanter, wie die kräftigen Tiere heis­sen, auf einem Areal von rund acht Hektaren verantwortlich.

Der Aspekt der Betreuung und Pflege der Pferde ist Nussbaumer wichtig. Oft habe er den Eindruck, sein Beruf werde von aussen etwas belächelt und als lockeres Hobby angesehen, das nur aus gelegentlichen Kutschfahrten bestehe. Dabei handelt es sich um einen anspruchsvollen Fulltime-Job. «Wir sind 365 Tage im Jahr von morgens bis abends für die Pferde da, versorgen und waschen sie, misten den Stall aus, ernten selbst angebautes Raufutter im Sommer und verrichten diverse Reinigungsarbeiten etwa an den Zugfahrzeugen», zählt der 50-Jährige auf. «Gleitzeit oder Feiertage gibt es bei uns nicht.» Hinzu komme, dass es bei Wind und Wetter hinausgehe.

Vom Hobby zum Beruf

Diese unbequemen Rahmenbedingungen könnten ein Grund dafür sein, dass die immer noch angebotenen Lehrstellen als Fuhrmann schwierig zu besetzen sind. «Dabei haben wir einen sehr spannenden Beruf», sagt Nussbaumer. «Wir erleben so viel, es wird einem nie langweilig.» Allerdings würden Fuhrmänner auch polarisieren. «Bringen wir Bier, sind wir sehr beliebt. Halten wir mit den Kutschen aber den Verkehr auf, ziehen wir den Unmut der Autofahrer auf uns.» Sein Lächeln verrät jedoch, dass er damit sehr gut leben kann.

Und das seit mittlerweile 14 Jahren, die er in diesem Beruf für die grösste Brauerei der Schweiz arbeitet. Aufgewachsen ist Nussbaumer auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, der sich unter anderem der Freibergerzucht verschrieben hat. Die Pferdezucht hat den gelernten Zimmermann und Dachdecker von Anfang an fasziniert. Genauso wie das mehrspannige Fahren, das er manchmal auf Schlitten im Engadin praktiziert hat. So verwundert es nicht, dass er sich auf die Stellenausschreibung von Feldschlösschen beworben hat. «Das war die Chance, mein Hobby zum Beruf zu machen», sagt Nussbaumer.

Dass er die Stelle als Fuhrmann auch ohne entsprechende Lehre bekam, lag zum einen an seiner grossen Erfahrung mit Pferden und zum anderen daran, dass es damals noch keine Ausbildung in diesem Beruf gab. Dafür waren die bei Feldschlösschen alteingesessenen Fuhrmänner Viktor Stocker und Walter Spycher zuständig. «Von ihnen habe ich sehr viel gelernt», erzählt Nussbaumer. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, die Pferde auf ihre Einsätze vorzubereiten. Das sei elementar, um Unfällen vorzubeugen. Aus diesem Grund werde täglich das Anspannen und Fahren trainiert. Tatsächlich, sagt der Herzblut-Rösseler, habe er dank dieser Massnahmen noch nie einen Unfall mit «seinen» Tieren erlebt. Er klopft auf Holz, während er das erzählt.

ESAF

Schweiz-Tournee wie ein Zirkus

Denn eine Selbstverständlichkeit ist das keineswegs angesichts der vielen Einsätze, welche sie jedes Jahr mit ihren Zwei-, Vier- und Sechsspännern haben. Neben den wöchentlichen Getränkeauslieferungen in Rheinfelden stehen rund 70 bis 80 Fahrten in der ganzen Schweiz an. Die schwergewichtigen Kaltblüter werden zu ihren Auftritten an Messen, Firmenjubiläen, Weihnachtsmärkten und Ausstellungen mit einem grossen Lastwagen transportiert. «Das ist wie ein Zirkus», sagt Nussbaumer und lacht herzhaft, um kurz darauf ernst anzufügen, dass es in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie natürlich keine Auftritte gab. Erst kürzlich hätten sie den ersten Einsatz gehabt und langsam nehme es wieder zu. Für die Brauerei sei das ein nicht zu unterschätzender Werbeeffekt. «Wer einmal einen Spänner von uns gesehen hat, vergisst das so schnell nicht wieder.»

Das ist in grossem Masse den Kaltblütern zu verdanken, deren mächtiger Körperbau einfach nur für offene Münder sorgt. Nussbaumer hat sich längst an diesen Anblick gewöhnt und geht doch jedes Mal wieder ehrfürchtig auf die sanften Riesen zu. Vorbei an ihren gigantischen Hufabdrücken im Matsch, ruft er zwei von ihnen zu sich. Sofort kommen Amira und Roli vorbei, um sich Streicheleinheiten abzuholen. Obendrauf gibt es noch eine frische Baumnuss. «Die Belgier sind nicht nur sehr stark und damit perfekt für das Ziehen grosser Lasten geeignet, sondern haben auch ein sehr gutes Gemüt», schwärmt ihr «Chef».

Auch auf Facebook beliebt

Selbst Besucher ohne gebuchte Führung können sich vor Ort ein Bild davon machen. Der Brauereistall ist unter der Woche von 7 bis 16 Uhr frei zugänglich. Wem der Weg dafür zu weit ist, kann auf Facebook ein paar Eindrücke sammeln. Dort hat Aramis als einziges im Rheinfelder Stall geborenes Kaltblut seinen eigenen Kanal («Aramis Brauereipferd») mit fast 5000 Abonnenten. Pferdezucht wird bei Feldschlösschen aber nicht betrieben. Man habe damals lediglich eine trächtige Stute im belgischen Werne gekauft. Dort erwirbt die Brauerei seit jeher ihre Rösser. Nun braucht es nur noch Nachwuchs-Fuhrmänner oder -Fuhrfrauen, die sich auch in Zukunft um sie kümmern und irgendwann in die Fussstapfen von Peter Nussbaumer treten.